Women in Architecture WIA-Festival Berlin 2021
AG Frau und SIA International
Auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Baukultur
Frau und SIA International nahm am ersten Women in Architecture WIA-Festival Berlin 2021 teil. Am Symposium des WIA-Europe Wochenendes präsentierten die Produzentinnen von Her Stories ihren Film und die AG International stellte die Entstehung unseres Netzwerks vor. Dazu erschien ein Bericht im tec21 online, der hier abrufbar ist: https://www.espazium.ch/de/aktuelles/wir-haben-dicke-bretter-zu-bohren.
Text: NANDITA BOGER, Dipl. Architektin ETH/SIA
«Es gibt viele von uns, und darum wird es Zeit über uns zu reden», sagt Isabel Thelen an der Eröffnung des ersten Festivals über Frauen am Bau in Berlin https://wia-berlin.de/. Sie ist Mitglied im Berliner Netzwerk für Architektinnen, Innenarchitektinnen, Ingenieurinnen, Landschaftsarchitektinnen und Stadtplanerinnen n-ails, welches hauptverantwortlich ist für das Zustandekommen des Festivals. Ziel sei es, Bilder zu geben, Rollen zu schaffen, Frauen in den Werken sichtbar machen. Fast hundert Veranstaltungen zeigen während knapp fünf Wochen das breite Spektrum von Frauen und ihren Fähigkeiten. Das grosse Motto lautet «Baustelle Gleichstellung. Mit dem Festival sollen nun auch die Player der Baubranche, ohne die sich in der Gleichstellung nichts bewegt, mit ins Boot geholt werden. Christine Edmaier, Präsidentin der Architektenkammer Berlin https://www.ak-berlin.de/, welche Mitveranstalterin des Festivals ist, sagt: «Es gilt, die Sichtbarkeit der vielen aktiven Frauen in Architektur und Stadtplanung zu verbessern und Hindernisse im Berufsalltag aufzuspüren».
Eine geballte Sammlung an Inspiration
«Wir haben noch einiges vor und wahnsinnig dicke Bretter zu bohren. Dafür kommen wir am WIA Berlin Festival 2021 zusammen», sagt Schirmfrau Regula Lüscher zum Auftakt https://www.youtube.com/watch?v=qJwAWbIijF4. Es sind gestandene, erfolgreiche Berufsfrauen wie sie, von der Stadtplanerin bis zur selbstständigen Ingenieurin, die sich mit dem Thema Gleichstellung auseinandersetzen. „Die Baustelle Gleichstellung ist komplex und bedarf der Beteiligung vieler Mitstreiter*innen aus der Baukultur», sagt Elke Duda, WIA-Koordinatorin, Mitglied und Mit-Gründerin von n-ails.
Die Veranstaltungen sind über ganz Berlin verteilt, aber auch online anzuschauen auf WIA YouTube https://www.youtube.com/channel/UCy3lVcI982fIRi12IaJApZQ. Beim Durchklicken durch Vorträge, Symposien und Diskussionen stellt sich die Erkenntnis ein: das sind weder Emanzen noch gescheiterte Existenzen, kein Männerhass oder Selbstmitleid ist im Spiel. Es geht um Erfahrungsaustausch, Fakten und das Teilen von Tipps, um besser zurechtzukommen. Um Ideen und Vorschläge, wie man die Situation verändern könnte, damit die Frauen den ihnen nach den Studienzahlen zustehenden Anteil in der Berufswelt einnehmen können. Regula Lüscher, seit 14 Jahren in Berlin, Senatsbaudirektorin im Range der Staatssekretärin, zugehörig zum Senat für Stadtentwicklung und Wohnen sagt beispielsweise, keine Frau stelle sich bei Studienbeginn die Frage, ob sie - als Frau - diesen Beruf ausüben könne. Aber von aussen werde diese Frage dann an sie gestellt, was eine Art Infragestellung sei. Das Ziel des WIA - Festivals ist für Lüscher, eine junge Generation von Frauen zu begeistern und zu zeigen, was es bedeutet, unsere Welt zu gestalten, für und mit Menschen. Für ein nächstes Festival fordert sie dringend, die Bauherrinnen miteinzubeziehen. Zur Bauwelt gehöre die Immobilienwelt, und dort gebe es 99 Prozent Männer und ein Prozent Frauen. Wenn sich etwas verändern sollte, dann müssten Frauen auch in diese Systeme eindringen, sagt Lüscher. Stadt entstehe durch das Verhältnis von Auftraggeberinnen und Auftragnehmern, Politik, Verwaltung und Bevölkerung. «Wir müssen den Mut haben, den Schritt in andere Welten zu wagen», sagt sie.
Internationaler Austausch
Am internationalen Austausch und am Aufbau eines europaweiten Netzwerks arbeitet die in Hamburg gegründete Plattform WiA Europe. Am WIA-Europe-Wochenende zur Vernetzung, Zusammenarbeit und Sichtbarmachung über die Ländergrenzen hinweg https://www.youtube.com/watch?v=Rrl4_39IEAw präsentierte Katharina Marchal, Architektin und Journalistin, das Schweizerische Netzwerk Frau und SIA. Auch in der Schweiz sei die Gleichstellung noch Baustelle, sagt sie. Die aktuellen Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Während bei den Studierenden an der Architekturabteilung der ETH Zürich 45 Prozent weiblich seien, betrage der Anteil weiblicher Professorinnen dort nur elf Prozent. Immerhin sei die Zahl steigend, waren es 2006 doch erst drei Prozent. Auch beim SIA seien mit 22 Prozent Anteil die Frauen im Fachbereich Architektur untervertreten, bei den Ingenieurinnen seien es gar noch weniger.
Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein erteilte 2014 Frau und SIA den in den Statuten verankerten Auftrag, ihn in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter zu beraten. Der Frauenanteil im SIA habe sich seit der Gründung des Netzwerks verdreifacht, sagt Marchal. Die Arbeitsgruppe International habe zum Ziel, sich mit den Netzwerken der Nachbarländer auszutauschen, Synergien zu fördern und gemeinsame Aktionen durchzuführen. Sie wünsche sich mehr Vorbilder für die junge Generation, sagt Marchal. In den nächsten Jahren hoffe sie, dass das Netzwerk über die Grenzen hinweg ausgebaut werden könne.
Abschaffung des Festivals als Ziel
Paula Villa-Braslavsky, Professorin für Soziologie an der Universität in München, hat mit Architektinnen der TU München eine Studie über Frauen in der Architektur verfasst https://www.ar.tum.de/fakultaet/gleichstellung/forschung/studie-frauen-ar/.
Villa-Braslavsky hält nicht das Geschlecht für ausschlaggebend für den Erfolg einer Architektin. Eine heroische Figur, kraftvoll, autoritär, sorglos, voller genialischer Kreativität werde wahrscheinlich in der Branche reüssieren, unabhängig ob Mann oder Frau. Sie konstatiert die Benachteiligung aufgrund von Geschlecht eher im Feld CARE. Care bedeute, sich um die Bedürfnisse des Lebendigen zu sorgen. Sich kümmern jedoch werde ausgegrenzt aus der bezahlten Arbeit und gelte in der Gesellschaft immer noch als typisch weiblich. Die Statistik der Erwerbsarbeit zeige: in Deutschland arbeiteten sechs Prozent der Väter und 69 Prozent der Mütter Teilzeit. CARE bedeute aber auch Glück, Sinn und Notwendigkeit. Es sei daher weder dumm, rückwärtsgewandt noch schlecht, zu sagen, «ich will weniger arbeiten», sagt Villa-Braslavsky. Das Problem sei die Gesellschaftsstruktur, die dies nicht wertschätzen könne, nicht bereit sei, diese Haltung zu integrieren, sondern mit Ausgrenzung im beruflichen Bereich reagiere.
Um zu entgeschlechtlichen (und allen die gleiche Möglichkeit zu geben zur Sorge/Care und zur Erwerbsarbeit) müssten wir viel darüber sprechen, müssten wir Geschlecht und Gender thematisieren. Villa-Braslavsky nennt dies eine Paradoxe Intervention: etwas, was eigentlich egal ist, sichtbar machen, darauf aufmerksam machen, damit wir es überwinden können und damit es irgendwann tatsächlich egal ist.
Tragwerksplanerin Nicole Zahner, eine der zwölf Mitorganisatorinnen des Festivals, führt als Grund für ihr Engagement das Fehlen von Vorbildern ins Feld: «Es gibt sehr wenige Vorbilder, weibliche Vorbilder, im Bauingenieurwesen.» Dem wollten die Planerinnen etwas entgegensetzen. Entstanden ist eine Ausstellung über Bauingenieurinnen und ihr Werk. «Queens of Structure» zeigt eine breite Vielfalt von Projekten, aber auch von den Personen, die dahinterstehen. Dazu gibt es einen Katalog und eine eigene Webseite. https://queens-of-structure.org/ausstellung
Abschluss des Festivals am 1. Juli mit dem ManifestA. Livestreams/Videos finden Sie auf WIA YouTube https://www.youtube.com/channel/UCy3lVcI982fIRi12IaJApZQ!
Art. 2 Abs. 4 Statuten SIA (2014) - Förderung der Frauen
„Der SIA fördert das Bewusstsein für die Gleichwertigkeit der Geschlechter mit dem Ziel der Erreichung eines Kulturwandels in der Arbeitswelt und in den Ausbildungsinstitutionen. Er engagiert sich für gleiche Chancen in Wirtschaft und Wissenschaft sowie für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zu diesem Zweck bildet er ein Netzwerk, dem sich alle Mitglieder des SIA anschliessen können.»
Frau und SIA am WIA Festival in Berlin: Katharina Marchal, Nandita Boger (rechts) und Olympia Georgoudaki (nicht im Bild) gründeten die Arbeitsgruppe International, um sich mit den Netzwerken der Nachbarländer auszutauschen. Bild: Larissa Kirchmeier
Baustelle Gleichstellung: Viele Architektinnen scheiden nach dem Studium aus dem Beruf aus. Das hat Auswirkungen auf den Anteil der weiblichen Mitglieder im SIA. Quelle: ETHZ Gender Monitoring Architecture ETH Zürich 2004 – 2016 / SIA. Grafik: Nandita Boger